Dienstag, 4. Februar 2014

HOMO OECONOMICUS - Ein Auslaufmodell? II


Modelle helfen uns die Unübersichtlichkeit der Wirklichkeit in Überschaubares zu komprimieren. Was geschieht jedoch, wenn die schlanke Wiedergabe im Modell Wesentliches übersieht? Und was, wenn das Modell eine solche Eigendynamik entwickelt, dass es auf die Wirklichkeit Einfluss nimmt? Ist der HOMO  OECONOMICUS das Frankenstein-Monster der Ökonomie? 

Von Norbert KUBESCH M.A. (Politologe, Jurist)



Die Eigenschaften des HOMO OECONOMICUS im Detail




Sechs prägnante Kennzeichen repräsentieren die Eigenschaften des HOMO OECONOMICUS (im Folgenden HO): Er ist ausschließlich am Eigeninteresse orientiert (1). Er handelt rational (2). Und verfolgt dabei stets das Ziel den eigenen Nutzen zu maximieren (3). Er reagiert auf Restriktionen von Dritten (4), jedoch immer mit Augenmerk auf seine feststehenden Präferenzen (5). Und er verfügt prinzipiell über vollständige Informationen, um sein Handeln zu optimieren(6). 

Punkt sechs ist geradezu utopisch. Es wird uns nie gelingen über alle Informationen zu verfügen, die unserem Handeln jegliches »Restrisiko« für ein Scheitern nehmen. Unsicherheit ist unser ständiger Begleiter. Und Spekulation und Mutmaßung ebenso Ausdruck eines Informations- defizits, wie der Garant für Handlungsfähigkeit. Ein »zu viel« an Information, geht nur allzu oft einher mit einem »zu wenig« an Reaktion. 



Doch wenn  Zeit Geld ist, dann wird Zögern und Zaudern teuer. Tagtäglich müssen wir entscheiden, ohne vollumfassend informiert zu sein. »Je planvoller wir vorgehen, umso härter trifft uns die Wucht unvorhergesehener Ereignisse«, heißt es sinngemäß bei Friedrich  DÜRRENMATT. Dies ist kein Plädoyer für Planlosigkeit; nur der dezente Hinweis, sich nicht dem Los des vermeintlich Planbaren zu unterwerfen. Leisten wir uns hier und da ein wenig Kühnheit, ohne jedoch dabei toll sein zu wollen.
 

Die Logik der Präferenzen und unsere Ambition diese in einer Ordnung zu hierarchisieren, wie es Punkt fünf hervorhebt, wurde bereits in Teil I dieser Abhandlung erörtert. Das dabei Restriktionen von außen, die Erfüllung unserer Bedürfnisse einschränken, steht außer Frage. Wenn der Geldbeutel kleiner ist als die Bedürfnisse, dann wirkt das restriktiv und vielleicht der eine oder andere deswegen irgendwann auch resignativ. 

Die Punkte 6,5 und 4 im Modell des idealen Marktteilnehmers, entziehen sich also ganz offensichtlich unserem Einfluss. 1, 2 und 3 dagegen, appellieren an unseren Drang zur Selbstverwirklichung und Selbstwirksamkeit. Wir alle wollen unseren Nutzen maximieren, halten uns für rational und lassen uns von eigenen Interessen leiten. Wer möchte da schon widersprechen?


KIRCHGÄSSNER spricht denn auch vom »Eigennutzenaxiom« (Gebhard KIRCHGÄSSNER,Homo oeconomicus. Das ökonomische Modell individuellen Verhaltens und seine Anwendung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Tübingen, 1991.) als dem zentralen Motiv, dass das Handeln im Modell des HO steuert. Das Gegenteil ist altruistisches Verhalten, das gleichfalls die Belange der Menschen berücksichtigt, die durch mein Handeln betroffen sind. Dieser Raum bleibt  jedoch leer im ökonomischen Gedankengebäude. 


Die Beziehung zwischen dem Einzelnen und der Gemein- schaft ist per se von Widersprüchen gekennzeichnet. Das im Modell unterstellte »rationale Handeln« führt deshalb in der Realität sehr häufig in eine »Rationalitätsfalle«. Ab wann wird mein Verhalten gemeinschaftsschädigend? Oder anders gewendet: Wie viel Fremdbestimmung darf ich zulassen, ohne meiner eigenen Identität verlustig zu werden? 


Was für das Kollektiv vernünftig ist, widerspricht den Vernunftvorstellungen des Einzelnen. Ein Dilemma, für das die Versicherungswirtschaft den Begriff des »moral hazard« prägte.

Der Evolutionsbiologe Manfred MILINSKI hat Untersuchungen durchgeführt, wann Menschen kooperieren und wann sie der Versuchung erliegen, sich gegenseitig zu übervorteilen. Im Labor spielten Versuchspersonen, dass sogenannte »Gemeinwohlspiel«. Die Teilnehmer hatten einen Geldbetrag X zur Verfügung. Sie entschieden in Folge darüber, wie viel sie in einen Gemeinschaftstopf investieren wollen. Die Summe wurde anschließend verdoppelt und unter allen Mitspielern aufgeteilt. Bringen alle ihr gesamtes Kapital ein, so ist der Gewinn aus kollektiver Sicht am höchsten. Individuell betrachtet, profitiert jeder - so hat es zumindest den Anschein – jedoch am meisten, wenn er möglichst wenig einzahlt. Dennoch lohnt langfristig einzig der hohe Einsatz in den Gemeinschaftstopf. Warum? Diese vertrauensvolle Maßnahme erzeugt sanften Druck auf alle Beteiligten. Ist jedoch das Ende des Spiels absehbar, dann drehen sich die Vorzeichen. Der Egoismus wird plötzlich rentabler.

Aus dem Gemeinwohlspiel lassen sich drei elementare Schlüsse ziehen: 

  • Wir verhalten uns nur dann altruistisch, wenn dies unmittelbar mit persönlichem Nutzen verbunden ist. Oder im Umkehrschluss: dass dem widersprechendes Verhalten zu Be- strafung führt. (= Logik der Rechtsordnung)
 
Vertrauen braucht Zeit!


  • Altruistisches Verhalten gründet auf Vertrauen. Und Vertrauen braucht Zeit. Nur Kooperation auf Zeit zwingt zur Rücksicht. Ereignisse ohne Wiederholungscharakter, als Konstellation zwischen Akteuren, die danach nie mehr interagieren werden, erleichtern viel eher die egoistische Attitüde. 

  • Anonymität fördert Egoismus.

   Eigeninteresse ist in einer Gemeinschaft nur dann rational, wenn es die Interessen dieser nicht grundlegend missachtet. Kurzfristig mag Egoismus Gewinn versprechen. Langfristig schließen sich Egoismus und Gewinn in; wie jene die darauf beharren, sich selbst auch aus, einer Gemeinschaft aus.  




    Anonymität fördert Egoismus

  
Die Verhaltensbiologin Melissa BATESON hat ein aufsehenerregendes Experiment durchgeführt. Sie stellte in einer Cafeteria einen Milchautomaten mit einer Kasse davor auf. Jedem der Nutzer blieb es freigestellt, für das Getränk zu zahlen oder nicht. Einzige Hürde: BATESON hatte im Wechsel zwei verschiedene Bilder an dem Automaten angebracht. In der ersten Woche eine schlichte Blumenverzierung. Und in der zweiten Woche ein Augenpaar. Das Resultat ist verblüffend. In der zweiten Woche, erfolgten allein aufgrund des Augenpaares deutlich mehr Zahlungen, als die Woche zuvor. Das Experiment hat gezeigt: Wir verändern unser Verhalten, wenn wir uns beobachtet fühlen. »Gewissen ist die innere Stimme, die uns warnt, dass vielleicht jemand zuschaut« schrieb der Schriftsteller Henry Louis MENCKEN. Die innere Stimme bleibt jedoch im Modell des HO stumm.