Modelle
helfen uns die Unübersichtlichkeit der Wirklichkeit in Überschaubares zu
komprimieren. Was geschieht jedoch, wenn die schlanke Wiedergabe im Modell
Wesentliches übersieht? Und was, wenn das Modell eine solche Eigendynamik
entwickelt, dass es auf die Wirklichkeit Einfluss nimmt? Ist der HOMO OECONOMICUS das Frankenstein-Monster der
Ökonomie?
Von Norbert KUBESCH M.A. (Politologe, Jurist)
Die
Eigenschaften des HOMO OECONOMICUS im Detail
Sechs prägnante Kennzeichen repräsentieren die
Eigenschaften des HOMO OECONOMICUS (im Folgenden HO): Er ist ausschließlich am Eigeninteresse orientiert (1). Er handelt rational (2). Und verfolgt dabei stets das Ziel den
eigenen Nutzen zu maximieren (3). Er reagiert auf Restriktionen von Dritten (4), jedoch immer mit Augenmerk auf
seine feststehenden Präferenzen (5). Und er verfügt prinzipiell über vollständige
Informationen, um sein Handeln zu optimieren(6).
Punkt sechs ist geradezu utopisch. Es wird uns nie
gelingen über alle Informationen zu verfügen, die unserem Handeln jegliches »Restrisiko«
für ein Scheitern nehmen. Unsicherheit ist unser ständiger Begleiter. Und
Spekulation und Mutmaßung ebenso Ausdruck eines Informations- defizits, wie der Garant
für Handlungsfähigkeit. Ein »zu viel« an Information, geht nur allzu oft einher
mit einem »zu wenig« an Reaktion.
Doch wenn
Zeit Geld ist, dann wird Zögern und Zaudern teuer. Tagtäglich müssen wir
entscheiden, ohne vollumfassend informiert zu sein. »Je planvoller wir vorgehen, umso härter trifft uns die Wucht unvorhergesehener
Ereignisse«, heißt es sinngemäß bei Friedrich DÜRRENMATT. Dies ist kein Plädoyer für Planlosigkeit; nur der dezente
Hinweis, sich nicht dem Los des vermeintlich Planbaren zu unterwerfen. Leisten
wir uns hier und da ein wenig Kühnheit, ohne jedoch dabei toll sein zu wollen.
Die Logik der Präferenzen und unsere Ambition diese in einer Ordnung zu
hierarchisieren, wie es Punkt fünf hervorhebt, wurde bereits in Teil I dieser
Abhandlung erörtert. Das dabei Restriktionen von außen, die Erfüllung
unserer Bedürfnisse einschränken, steht außer Frage. Wenn der Geldbeutel
kleiner ist als die Bedürfnisse, dann wirkt das restriktiv und vielleicht der
eine oder andere deswegen irgendwann auch resignativ.
Die Punkte 6,5 und 4 im Modell des idealen Marktteilnehmers, entziehen
sich also ganz offensichtlich unserem Einfluss. 1, 2 und 3 dagegen, appellieren
an unseren Drang zur Selbstverwirklichung und Selbstwirksamkeit. Wir alle
wollen unseren Nutzen maximieren, halten uns für rational und lassen uns von
eigenen Interessen leiten. Wer möchte da schon widersprechen?
KIRCHGÄSSNER spricht denn auch vom
»Eigennutzenaxiom« (Gebhard KIRCHGÄSSNER,Homo oeconomicus. Das ökonomische Modell individuellen Verhaltens und seine Anwendung in den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Tübingen, 1991.) als dem zentralen Motiv, dass das Handeln im
Modell des HO steuert. Das Gegenteil ist altruistisches
Verhalten, das gleichfalls die
Belange der Menschen berücksichtigt, die durch mein Handeln betroffen sind. Dieser
Raum bleibt jedoch leer im ökonomischen Gedankengebäude.
Die Beziehung zwischen dem Einzelnen und der
Gemein- schaft ist per se von Widersprüchen gekennzeichnet. Das im Modell unterstellte
»rationale Handeln« führt deshalb in der Realität sehr häufig in eine »Rationalitätsfalle«.
Ab wann wird mein Verhalten gemeinschaftsschädigend? Oder anders gewendet: Wie
viel Fremdbestimmung darf ich zulassen, ohne meiner eigenen Identität verlustig
zu werden?
Was für das Kollektiv vernünftig ist, widerspricht den Vernunftvorstellungen des Einzelnen. Ein Dilemma, für das die Versicherungswirtschaft den Begriff des »moral hazard« prägte.
Die Verhaltensbiologin
Melissa BATESON hat ein aufsehenerregendes
Experiment durchgeführt. Sie stellte in einer Cafeteria einen Milchautomaten mit
einer Kasse davor auf. Jedem der Nutzer blieb es freigestellt, für das Getränk
zu zahlen oder nicht. Einzige Hürde: BATESON hatte im Wechsel zwei verschiedene
Bilder an dem Automaten angebracht. In der ersten Woche eine schlichte
Blumenverzierung. Und in der zweiten Woche ein Augenpaar. Das Resultat ist
verblüffend. In der zweiten Woche, erfolgten allein aufgrund des Augenpaares
deutlich mehr Zahlungen, als die Woche zuvor. Das Experiment hat gezeigt: Wir
verändern unser Verhalten, wenn wir uns beobachtet fühlen. »Gewissen ist die
innere Stimme, die uns warnt, dass vielleicht jemand zuschaut« schrieb der
Schriftsteller Henry Louis MENCKEN.
Die innere Stimme bleibt jedoch im Modell des HO stumm.
Was für das Kollektiv vernünftig ist, widerspricht den Vernunftvorstellungen des Einzelnen. Ein Dilemma, für das die Versicherungswirtschaft den Begriff des »moral hazard« prägte.
Der
Evolutionsbiologe Manfred MILINSKI
hat Untersuchungen durchgeführt, wann Menschen kooperieren und wann sie der
Versuchung erliegen, sich gegenseitig zu übervorteilen. Im Labor spielten
Versuchspersonen, dass sogenannte »Gemeinwohlspiel«. Die Teilnehmer hatten
einen Geldbetrag X zur Verfügung. Sie entschieden in Folge darüber, wie viel
sie in einen Gemeinschaftstopf investieren wollen. Die Summe wurde anschließend
verdoppelt und unter allen Mitspielern aufgeteilt. Bringen alle ihr gesamtes
Kapital ein, so ist der Gewinn aus kollektiver Sicht am höchsten. Individuell
betrachtet, profitiert jeder - so hat es zumindest den Anschein – jedoch am meisten,
wenn er möglichst wenig einzahlt. Dennoch lohnt langfristig einzig der hohe
Einsatz in den Gemeinschaftstopf. Warum? Diese vertrauensvolle Maßnahme erzeugt
sanften Druck auf alle Beteiligten. Ist jedoch das Ende des Spiels absehbar,
dann drehen sich die Vorzeichen. Der Egoismus wird plötzlich rentabler.
Aus dem Gemeinwohlspiel lassen sich drei elementare Schlüsse ziehen:
Aus dem Gemeinwohlspiel lassen sich drei elementare Schlüsse ziehen:
- Wir verhalten uns nur dann altruistisch, wenn dies unmittelbar mit persönlichem Nutzen verbunden ist. Oder im Umkehrschluss: dass dem widersprechendes Verhalten zu Be- strafung führt. (= Logik der Rechtsordnung)
Vertrauen braucht Zeit! |
- Altruistisches Verhalten gründet auf Vertrauen. Und Vertrauen braucht Zeit. Nur Kooperation auf Zeit zwingt zur Rücksicht. Ereignisse ohne Wiederholungscharakter, als Konstellation zwischen Akteuren, die danach nie mehr interagieren werden, erleichtern viel eher die egoistische Attitüde.
- Anonymität fördert Egoismus.
Eigeninteresse
ist in einer Gemeinschaft nur dann rational, wenn es die Interessen dieser
nicht grundlegend missachtet. Kurzfristig mag Egoismus Gewinn versprechen.
Langfristig schließen sich Egoismus und Gewinn in; wie jene die darauf beharren, sich selbst auch aus, einer Gemeinschaft aus.
Anonymität fördert Egoismus