Montag, 27. Januar 2014

Toxische Atmosphäre




Längst ist klar: Ungelöste Konflikte in Unternehmen sind verdeckte Kostentreiber! Und doch nutzen nur wenige Betriebe die enormen Einsparungspotentiale, die sich aus einem systematischen Konflikt-management ergeben.

Von Norbert KUBESCH M.A. (Politologe, Jurist)







Der Kostendruck für Unternehmen wird zusehends größer. Die Spielräume Kosten einzusparen, dagegen immer kleiner. Ein Grund mehr für jedes Unternehmen, sich an ein Thema heranzuwagen, dass eigentlich laut dem Credo guten Managements keines sein sollte. Die Rede ist von Konflikten. Genauer von deren Kosten. Ein blinder Fleck, nicht nur in den Bilanzen, sondern leider auch noch allzu oft in der Wahrnehmung vieler Führungskräfte.



Die Fakten

Seit rund zehn Jahren steht das Thema Konfliktkosten auf der Agenda berufener Fachkreise. Die Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG  in 2009 markiert dabei gewissermaßen einen vorläufigen Höhepunkt des Diskurses. Einhelliges Fazit: Systematisches Konflikt- management hilft Kosten zu senken.  Schließlich geht es um Größenordnungen von anteilig rund 20 % an den gesamten Personalaufwendungen. 
 
Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu erhöhter Aufmerksamkeit des Themenkomplexes, ist die Gründung des „Round table Mediation und Konfliktmanagement der deutschen Wirtschaft“ 2009, bei dem Vertreter der deutschen Wirtschaft im Schulterschluss mit der Universität VIADRINA Frankfurt/Oder, über Maßnahmen und Konzepte für ein modernes Konflikt- management nachdenken.  All diese Bemühungen gründen auf der in weiten Teilen der Wirtschaft längst nicht mehr umstrittenen Schlussfolgerung: Konfliktkosten  sind Teil der Unternehmenswelt. 


Stellt sich die Frage, nach den probaten Mitteln, die es erlauben Konfliktkosten effektiv reduzieren zu können? Sicher ist: Die beste Konfliktlösung ist, diese zu vermeiden. Wir alle wissen, dass dies eine Utopie bleiben wird. Dennoch mag das hehre Ideal Orientierung geben. Zweifellos spielt das Zeitargument eine wesentliche Rolle. Je früher (wir) Maßnahmen (er-) greifen, desto niedriger die Eskalationsstufe. Zugegeben eine triviale Erkenntnis. Sie gehorcht jedoch einer zwingenden Logik.

Exemplarisch sei auf die Broken-Windows-Theorie verwiesen. Erstmals 1982 von dem Politologen James WILSON und dem Kriminologen George KELLING der Öffentlichkeit vorgestellt, erlangte sie zwölf Jahre später, als Teil des Wahlprogramms des späteren New Yorker Bürgermeisters Rudolph GIULIANI Berühmtheit. Kern der Argumentation war, dass wenn auch die kleinste Regung sozialschädlichen Verhaltens konsequent verfolgt würde, damit zu rechnen sei, dass kapitale Auswüchse sich erst gar nicht einstellten. Kritik gab es reichlich. Von der Law-and-order-Attitüde, bis hin zu der Schaffung eines Klimas der sozialen Kälte. Was GIULIANI unter dem Namen »Zero Tolerance« (Null Toleranz) auf den Weg gebracht hatte, war jedoch von Erfolg gekrönt. Seit seiner Wahl 1994 fiel die Kriminalitätsrate in New York kontinuierlich. 


Es gibt nun Elemente der Broken-Windows-Theorie, aus denen sich fruchtbare Erkenntnisse für ein systematisches Konfliktmanagement gewinnen lassen. Zwei seien genannt. Sie rekurrieren beide auf das bereits oben erwähnte Zeitargument. Ausgangsüberlegung der Broken-Windows-Theorie ist: Ein nicht instand gesetztes Fenster ist ein Signal dafür, dass dies im Umfeld keinerlei Anstoß mehr erregt. Der Zustand wird als normal hingenommen. Synonym dazu gilt für die Belegschaft eines Unternehmens:


  • Wo etwa Mobbern keine Grenzen aufgezeigt werden, sehen sie ihre irrationale Strategie bestätigt und verfolgen diese nachgerade mit noch unerbittlicherer Konsequenz. Es entstehen Rückkoppelungseffekte, die sich u.a. darin äußern, dass Karrierestreben mit unlauteren Mitteln gleichgesetzt wird. Wer diese ergreift wird gierig, will alles auf einmal. Der mühsame Weg über Fleiß und Disziplin zum Erfolg zu gelangen, erscheint in einer solchen „toxischen Atmosphäre“ dann geradezu absurd.

  • Die Furcht nicht mehr auf konventionellem Wege erfolgreich sein zu können, erhöht die Anfälligkeit zum Mitläufertum und senkt gleichzeitig die Bereitschaft zu informeller Kontrolle. Loyalität zahlt sich nicht mehr aus. Eine solche Gemengelage kann zum Tipping Point (Einstieg) zunehmender Willkür und Verrohung der Sitten werden. Dienst wird nicht mehr nach Vorschrift, sondern nach Vorteilserwägungen erbracht.
 
Unverzügliche Konfliktbearbeitung

Warum frühes Eingreifen der Königsweg eines systematischen Konfliktmanagement ist.

Verallgemeinerungsfähig sind Rezepte zur Lösung von Konflikten mitnichten. Jeder Fall entwickelt die ihm eigentümliche Dramaturgie. Diese orientiert sich an der Eskalations- dynamik, die einem Seismographen gleich, Aussagen über die Konfliktstärke erlaubt. Wie das Beispiel Mobbing zeigt, verbindet sich die zu beobachtende Eskalationsdynamik im Rahmen unserer Rechtswirklichkeit zu einer perfiden Logik. Warum ist das so?
 
Zu konstatieren ist zunächst, dass Mobbing kein Rechtsbegriff ist. Somit ergibt sich auch folgerichtig aus dem Verdacht nicht zwingend eine Anspruchsgrundlage für eine Klage. Zu prüfen sind daher als Grundlage von Rechts- und Kostenfolgen gegen den Arbeitgeber, ob ein Schutzrecht aus § 823 Abs. 2 BGB (Schadensersatzpflicht) verletzt oder eine sittenwidrige, vorsätzliche Schädigung aus § 826 BGB begangen wurde.


Ferner ist dabei zu beachten, dass Ansprüche aus dem Vorwurf des Mobbings nicht schon allein aus einer Einzelhandlung, sondern sich erst aus der Häufung, Zuspitzung und der damit verbundenen besonderen Qualität der Übergriffe ergeben. Und exakt hieraus resultieren mitunter fatale Auswirkungen für die Betroffenen. Denn: Nach gängiger Rechtssprechung muss für einen begründeten Mobbingvorwurf erst eine gewisse Eskalationsstufe erreicht sein. Es gilt jedoch als sicher, dass mit der Eskalationsdynamik eines Konflikts auch seine Personalisierung zunimmt. Anders ausgedrückt: Es geht ab einem gewissen Konfliktniveau nicht mehr um einen Konfliktgegenstand, sondern um das Attackieren der Gegenpartei. (Vgl. REGNET, Erika (2001): Konflikte in Organisationen. Formen, Funktionen und Bewältigung. Göttingen: Verlag für angewandte Psychologie. S.69)




     
                           Eine Mobbingepisode  dauert im Schnitt 16,4 Monate



Wie dem Schaubild oben zu entnehmen ist, gehen dem Mobbing zunächst geringfügige ungelöste Konflikte voraus, die sich sukzessive in ihrer Ausprägung verstärken. Mobbing stellt einen sogenannten strukturellen Konflikt dar. Dabei handelt es sich primär um eine Einteilung, die auf hierarchische Gesichtspunkte abstellt, in der sich gewissermaßen das Organigramm einer Organisation wiederspiegelt. Es sind meist vertikale Konfliktbeziehungen um die es geht. Deren markantes Kennzeichen ist eine asymmetrische Konfliktstruktur. Eine starke und eine schwache Partei stehen sich gegenüber.


Insbesondere Friedrich GLASL hat bereits früh auf die Bedeutung der Eskalationsstufen eines jeden Konfliktszenarios hingewiesen; in ihrer sich steigernden Destruktivität als auch der nach unten hin rapide abnehmenden Wahrscheinlichkeit der Bewältigung durch die Betroffenen selbst. Ab einem gewissen Konfliktniveau ist eine Lösung nurmehr unter Zuhilfenahme Dritter möglich.Das Phasenmodell der Eskalation veranschaulicht nicht nur ab wann die Notwendigkeit unverzüglicher Eingriffe unbedingt geboten ist, sondern stellt darüberhinaus für die einzelnen Stufen der Entwicklung eines Konfliktgeschehens die jeweils adäquate Interventionsmöglichkeit heraus.


Sicherlich ist das häufig zu späte Intervenieren auf einer relativ hohen Eskalationsstufe auch eine Folge des weit verbreiteten „Wegschauens“ und „Verdrängens“. Ein Verhalten, welches nicht selten auch bezüglich der Einhaltung von Sicherheitsvorkehrungen in Risikobereichen zu beobachten ist. Sie werden nur vakant, wenn tatsächlich etwas passiert. Läuft alles glatt, nimmt sie keiner wahr. Daher ist die Verlockung groß, die Vorkehrungen nach anfänglicher Überreaktion peu á peu  wieder runterzufahren. Was nicht akut ist, braucht uns aktuell auch nicht zu kümmern. Vergessen wird dabei, dass Konflikte prozessualen Charakter haben. Sie ereignen sich nicht wie Wetterumbrüche. Allenfalls ihr unmittelbarer Ausbruch. Bevor es jedoch dazu kommt, vollzieht sich eine Entwicklung. Diese aufzuspüren, ihr nachzugehen und so Schlimmeres zu verhindern, ist die Kunst nachhaltigen und systematischen Konfliktmanagements.




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